Musik, Dampf und eine kleine Ente - Meine nostalgische Zugfahrt durch die Toskana
- Antares

- 23. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Es ist früher Morgen, der Dampf legt sich wie ein Schleier über den Bahnhof von Siena. Metallisches Zischen, ein dumpfes Rattern, das in der Brust vibriert – und dann dieser Geruch: Kohle, Öl, Geschichte. Der Treno Natura steht bereit, eine altehrwürdige Dampflok mit grünen Waggons, die aussieht, als hätte sie die Zeit vergessen. Sie wird mich, Antares🐥, mitnehmen, hinein in eine andere Epoche – auf Schienen, die durch die sanften Hügel der Toskana führen, vorbei an Weinreben, Olivenhainen und kleinen Dörfern, in denen die Uhren langsamer ticken.

Eine Reise in die Vergangenheit
Der Treno Natura ist kein gewöhnlicher Zug. Er ist ein Projekt, das Nostalgie atmet – und die Geschichte der Region auf Schienen wiederbelebt. Seit den 1990er-Jahren organisiert die Fondazione FS Italiane gemeinsam mit lokalen Vereinen und Regionen historische Fahrten auf alten Nebenstrecken, die heute kaum noch regulär befahren werden.
In der Toskana, rund um Siena, Montalcino, Asciano und Monte Antico, rollen diese Dampfrösser regelmäßig durch die Landschaft – nicht, um schnell ans Ziel zu kommen, sondern um das Reisen selbst wieder zu feiern. Der Zug wird so zu einer Bühne für die Sinne: das rhythmische Klackern der Räder, das wechselnde Licht, das durch die alten Scheiben fällt, der Duft von Heu und Erde, der durch das geöffnete Fenster hereinzieht.
Von Siena nach Asciano – und zurück in die Kindheit
Die wohl bekannteste Strecke führt von Siena über Monte Antico, Torrenieri und Montalcino bis nach Asciano. Es ist eine lange und intensive Fahrt.
Schon kurz nach der Abfahrt windet sich der Zug durch das Val d’Arbia und die bekannte Crete Senesi, jene eigenwillige, fast mondartige Landschaft aus graubraunen Tonhügeln, die in der Morgensonne golden schimmern. Ich schaue beim Fenster hinaus und glaube durch ein Gemälde zu fahren – irgendwo zwischen Vergangenheit und Traum.
Kinder winken mir von Feldwegen aus zu, Schäfer treiben ihre Herden, und manchmal steht sogar ein Traktor still, weil der Fahrer einfach kurz hören möchte, wie die Dampflok vorbeiizischt. Es ist, als würde diese Region für einen Moment innehalten, um sich selbst zuzusehen.
Und irgendwo zwischen Monte Antico und Montalcino, wenn der Zug in eine weite Kurve biegt, sehe ich die Sonne auf die Weinberge fallen – und vielleicht auch ein Stück der eigenen Sehnsucht.

Musik auf Schienen – Musik für eine Reise
Doch diesmal ist es nicht nur das rhythmische Klackern der Räder, das die Fahrt begleitet.
Vier Musiker – mit Saxophon, Akkordeon, Kontrabass und Gitarre – ziehen durch die Waggons, spielen italienische Chansons, leise Walzer, kleine Jazz-Improvisationen. Mal klingt es für mich wie ein Lied aus alten Filmen, mal wie ein vertrauter Sommerabend.
Die Klänge verweben sich mit dem Rattern der Schienen, mit dem Pfeifen der Lok, mit dem leisen Murmeln meiner Mitreisenden. Kinder tanzen im Gang, ältere Paare summen leise mit.
Musik und Maschine verschmelzen zu einer einzigen Bewegung – und für einen Augenblick wird der Zug selbst zum Orchester, das durch die toskanische Landschaft spielt.
Es ist diese Mischung aus Geräuschen, Rhythmus und Gefühl, die den Treno Natura unvergesslich machen: eine Sinfonie aus Dampf, Landschaft und Melodie.
Monte Antico – Wo die Lokomotive Durst hat
In Monte Antico, dem kleinen Bahnhof im Tal des Flusses Ombrone, legt der Zug eine ganz besondere Pause ein. Hier, zwischen uralten Eichen und den stillen Mauern des winzigen Bahnhofs, wird die Dampflok mit Wasser aufgefüllt – so, wie man es schon vor hundert Jahren tat.
Ein alter Kranarm schwenkt über den Tender, ein metallisches Rauschen erfüllt die Luft, als das Wasser in den Tank strömt. Dampf steigt auf, Ventile zischen, und für einen Moment steht alles still – nur ein dumpfes Gluckern ist zu hören.
Alle Reisenden stehen am Gleis, fotografieren, staunen – ich auch! Es ist ein magischer Augenblick, in dem die Maschine atmet und die Landschaft schweigt. Ich spüre, wie sehr dieses Ritual Teil des Lebens einer Dampflok war – und noch immer ist.
Wenn die Lok dann wieder anzieht, mit einem tiefen Pfiff und einem Schwung weißen Dampfes, begleitet von den ersten Akkorden eines Walzers aus dem nächsten Wagen, fühlte ich mich wie in einer schwarz-weiss Filmszene.
Der Treno Natura fährt weiter – beflügelt vom Klang der Musik und der Kraft des Wassers.

Wein, Märkte, Trüffel – und kleine Wunder
Der Treno Natura ist nicht nur Zugfahrt, sondern eine Erlebnisreise. Viele Fahrten sind an regionale Feste und Märkte gekoppelt: an die Weinfestivals von Montalcino, an Oliven- oder Kastanienfeste – und in diesem Jahr ganz besonders an das Trüffelfest in Asciano.
Im Zentrum der Crete Senesi, im historischen Ortskern von Asciano, findet immer am 2. Juni, das Fest „Tra Crete e Tartufo“ statt, das dem kostbaren Trüffel gewidmet ist.
Der gesamte Ortskern verwandelt sich in ein wahres Genuss-Paradies: Ristoranti bieten Gerichte mit Trüffel, regionale Weingüter und Craft-Brauereien laden zum Verkosten ein. Dazu gibt es Musik-Acts, DJs, Spiele für Kinder – ein Tag für die ganze Familie, eingebettet in die surrealen Landschaften der
Für eine Fahrt mit dem Zug ist das Timing ideal: Morgens mit dem Treno Natura anreisen, durch die sanften Hügel schaukeln, in Asciano aussteigen, am Fest teilnehmen – und am Nachmittag wieder zurück nach Siena. Nostalgie, Natur, Musik und kulinarisches Glück – und das alles an einem Tag.
Der Zauber der Langsamkeit
Vielleicht ist das das Schönste an dieser Reise: dass sie einen entschleunigt, ohne es zu fordern. Es gibt keine Eile, keinen Druck, kein WLAN. Nur das leise Schaukeln, die Musik der Räder, das rhythmische „tsch-tsch-tsch“ der Dampflok, das auf mich schon fast hypnotisch wirkt.
Viele Mitreisende lehnen sich einfach zurück, manche schließen die Augen, andere fotografieren das goldene Licht, das über die Felder zieht. Die Landschaft wird zur Meditation, die Zeit dehnt sich.
Und irgendwo zwischen zwei Stationen begreife ich, dass Nostalgie kein Rückblick ist – sondern ein Gefühl, das mich mit meiner eigenen Sehnsucht verbindet. Vielleicht darum wirkt der Treno Natura so magisch: weil er uns erinnert, wie schön es ist, unterwegs zu sein, ohne schon anzukommen.
Praktische Hinweise für Mitreisende
Startpunkt: Meist Siena – Abfahrt vom historischen Bahnhof
Saison: Frühling und Herbst
Tickets: Über die Argentur Visione del Mondo, Preise variieren je nach Strecke (ca. 40 – 60 €).
Dauer: Zwischen 3 und 6 Stunden inklusive Zwischenstopps (Monte Antico zum Wasserfassen!).
Extra: Auf ausgewählten Fahrten begleitet ein Ensemble von Musikern den gesamten Zug mit Live-Musik.
Tipp: Frühzeitig buchen – die Plätze sind begrenzt, und viele Fahrten sind schnell ausverkauft.

Mein letzter Blick aus dem Fenster
Als der Zug am Nachmittag wieder nach Siena zurückrollt, ist das Licht weich und golden. Ich sehe die Schatten länger werden, die Hügel sanft im Dunst verschwimmen. Irgendwo in der Ferne bellt ein Hund, eine Kirchenglocke läutet. Und während der Dampf über die Waggondächer zieht, habe ich das Gefühl, nicht nur eine Reise durch die Toskana, sondern auch durch die Zeit gemacht zu haben.
Der Treno Natura ist kein Transportmittel.
Er ist ein Gefühl – eines, das nachklingt, lange nachdem der Zug schon im Depot verschwunden ist.
Und wenn du einmal gesehen hast, wie in Monte Antico das Wasser in die Lokomotive rauscht, während im Hintergrund ein Akkordeon spielt, weißt du, dass Vergangenheit hier noch lebt – dampfend, atmend, klingend.
Mit nostalgischen Grüßen – dein ANTARES🐥





Kommentare