Staub, Hügel, Quietsch! - Antares und die Eroica
- Antares

- 6. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Ich bin Antares. Richtig, die kleine Quietschente, die meistens irgendwo am Lenker oder am Rucksack baumelt und die großen Abenteuer beobachtet.
Und dieses Mal hat es mich nach Gaiole in Chianti verschlagen – zur Eroica 2025.
Von hier oben, zwischen Bremskabeln und Lenkerband, habe ich natürlich den besten Überblick: ich sehe die gequälten aber lachenden Gesichter der Fahrer, die Schwielen ihrer Hände, das Staubkleid, das sich langsam über Haut, Trikots und Räder legt. Und glaubt mir: Staub ist hier kein Schmutz, Staub ist eine Auszeichnung.

Der Morgen auf den Strade Bianche
Die Sonne ist noch nicht über die Hügel gekrochen, und trotzdem rollen in der Dunkelheit, mit „Hirnbirn“ (Stirnlampen) ausgestattet, hunderte von Fahrrädern hinaus auf die "Strade Bianche".
Dieses Knirschen unter den Reifen – für dich ein Geräusch, für mich eine Melodie. Ich wippe mit meinem gelben Kopf im Takt und quietsche (noch) fröhlich vor mich hin, als wäre ich Dirigent einer ganz besonderen Symphonie aus Kies, Schweiß und Geschichte.
Fakt zum Anfang: Die Eroica wurde 1997 von Giancarlo Brocci gegründet und war das erste Event, das historische Fahrräder wieder in den Mittelpunkt rückte. Er wollte damit die Faszination klassischer Fahrräder und das ursprüngliche Radfahr-Erlebnis der „goldenen Zeit“ wiederbeleben. Die Idee war, die historischen Stahlrahmen, Ledersättel, klassische Campagnolo-Schaltungen und Leinen-Trikots wieder auf die berühmten Schotterstraßen – die Strade Bianche, zurückzubringen.
Allora – nochmal zusammengefasst: alle Teilnehmer (9000 aus 51 Nationen) fahren auf Stahlrahmen-Rädern, die mindestens 30 Jahre alt sind, hocken auf einem bockig hartem Ledersattel ohne Federung, brechen sich beim Schalten fast die Finger und das ganze im Wolltrikot (mich juckt‘s jetzt schon). Ich sage dir, das Ganze sieht aus als ob ein Fahrradmuseum einen Tagesausflug macht – und ich bin mittendrin.

Menschen, Stahl – und ich
Ich sehe die alten Herren, die stolz ihre "Stahlrahmen" ausfahren, so glänzend, als wären sie Familienerbstücke. Ich sehe junge Fahrerinnen, die noch ein wenig unsicher sind – bis ihnen jemand ein „Forza!“ zuruft. Und dann sind da die Sammler, die jede Schraube kennen und ihre Campagnolo-Schaltung streicheln und einölen wie einen Schatz.
Und dann… naja, da bin ich. Die Kinder am Wegesrand winken gar nicht den Fahrern, sondern mir zu – einer kleinen Ente, die bei jedem Schlagloch leise „quietsch“ ruft (und glaub mir, Schlaglöcher gibt es hier mehr als Sterne im Universum).
Fun Fact: Bei 50% Schotterstraßen ist es kein Wunder, dass alle Teilnehmer danach aussehen wie kleine Staubmonster.

Kein Wettkampf – ein Abenteuer
Während alle treten, treten, treten, bemerke ich: Hier geht es gar nicht ums Gewinnen. Es geht ums Dabeisein. Auch um Brot, Käse, Kekse und ein Glas Chianti an den Verpflegungspunkten. Und um das gemeinsame Lachen im Staub.
Ich selbst genieße die Pausen am meisten – endlich mal Gelegenheit, meinen Schnabel ins Wasser zu tauchen. Wellness für Enten.
Fakt am Lenker: Die Eroica misst keine Zeit – jeder fährt in seinem eigenen Tempo. Die Fahrer wählen zwischen 46 km, 81 km, 106 km, 135 km oder der klassischen 209 km-Runde.
Geschwindigkeit? Nebensache. Spaß und Stil? Pflicht!

Strecken & Zahlen – Pedale, Staubkörner und Höhenmeter
Bevor ich mich auf den nächsten Hügel in Richtung Gaiole stürze, ein kurzer Überblick über die Strecken – für alle, die Zahlen lieben (oder auch einfach Staubkörner zählen wollen 😉):
46 km davon 20 km Strada Bianca, Höhenunterschied 755 m. Kurz, knackig, perfekt zum Warmwerden.
81 km – 35 km Staub, 1.612 m Höhenunterschied. Ein bisschen mehr Herausforderung, aber auch mehr Aussicht.
106 km – 44 km Schotterstraßen, 1.743 m Höhenunterschied. Hier beginnt die wahre Magie – la bellezza della fatica.
135 km – 69 km einzuatmender Staub, Höhenunterschied 2.236 m. Für alle, die Hügel lieben und Staub nie genug bekommen.
209 km – 125 km Strade Biance, Höhenunterschied 3.863 m. Die legendäre Strecke durch Chianti, Crete Senesi und Val d’Orcia.
Und ich, Antares, wippe fröhlich bei jedem Schlagloch, als wollte ich sagen: „Egal welche Strecke – der Staub macht uns alle zu Helden!“

Helden ohne Umhang - dafür mit Pedalen
Ich habe sie alle gesehen: jene, die den 46-Kilometer-Rundkurs fahren und trotzdem völlig fertig, aber glücklich ins Ziel trudeln. Und die, die sich die epischen 209 Kilometer reinziehen, über Hügel, die schon von unten wie Berge aussehen. Jeder von ihnen ist ein Held – und ich, Antares, bin der stolze kleine Maskottchen-Chronist auf der Lenkgabel.
Die Teilnehmer kleiden sich nicht nur historisch, sondern auch nach alten Rennregeln. Lederhelme, gestrickte Trikots aus Wolle und klassische Schuhe sind ein Muss, um die Eroica wirklich und ehrlich zu erleben. Ich finde das super stylish!
Geschichten von unterwegs
Du würdest staunen, was ich alles vom Lenker aus alles aufschnappe:
Ein alter Mann in Gaiole, der jedem Radfahrer zunickt, als würde er ihn seit Jahren kennen.
Kinder, die jubeln, wenn ich vorbeigequietsche.
Fremde Radfahrer, die sich am Straßenrand plötzlich wie alte Freunde umarmen.
Und ich denke mir: Genau darum geht’s. Nicht ums Rad, nicht um die Strecke – sondern um genau diese Momente.

Kleine Gesten, große Herzen
Manchmal muss angehalten werden: Schlauch platt, Kette rausgesprungen, Schraube locker. Ich sehe, wie Fahrer sich gegenseitig helfen, Werkzeug teilen, Schweiß und Lachen sich vermischen. Und ich, mittendrin, ich werde oft liebevoll abgestaubt – „damit auch die Ente durchhält“, sagen sie. Ich halte durch. Immer.
Wer unterwegs ein Problem mit seinem Gefährt hat – non preoccuparti (mach dir keine Sorgen). Es fahren auch mobile Werkstätten, natürlich auch in historischen Fahrzeugen (wie sollte es anders sein) mit um kleine Reparaturen zu machen. An den Verpflegungspunkten gibt es sogar richtige „Werkstattstationen“ für die Räder. Die Eroica ist nicht nur Radfahren, sie ist ein mobiles Museum auf Rädern.

Rückfahrt ins Ziel – La bellezza della fatica
Langsam wird der Staub dichter, die Beine schwer, aber die Gesichter strahlen noch immer (teilweise). Ich, Antares, wippe auf der Lenkstange und sehe, wie die Fahrer jeden Hügel mit einem leicht gequälten Lächeln bezwingen. Man merkt, dass die Kilometer ihren Tribut fordern, und doch ist jeder Tropfen Schweiß, jede Anstrengung „la bellezza della fatica“ – die Schönheit der Erschöpfung. Ich sehe Fahrer, die sich gegenseitig anfeuern, weil einer von beiden seine Motivation vor Stunden an der Weggabelung verloren hat.
Die Hügel des Chianti ziehen vorbei wie gemalte Landschaften, die Sonne steht schon tief, und selbst die kleinen Schlaglöcher werden zum Rhythmus der letzten Meter. Jeder Atemzug, jeder Tritt, jede Kurve – es ist diese Mischung aus Anstrengung und Freude, die die Eroica so einzigartig macht. Ich quietsche einmal besonders laut und wollte damit allen sagen: „Fast geschafft!“
Und dann – hinter der nächsten Biegung – ist das Ziel zum Greifen nah. Das Herz schlägt schneller, der Staub klebt, aber der Stolz leuchtet heller als die letzten Sonnenstrahlen über den Hügeln.

Der Abend in Gaiole
Wenn dann die Sonne untergeht, verwandelt sich Gaiole in ein Volksfest. Musik, Stimmen, Gitarren, Wein. Überall lehnen die Räder wie müde Helden an den Hauswänden. Und ich? Ich sitze mitten auf dem Tisch, zwischen Pasta, Pecorino und einem Glas Chianti.
Da höre ich, wie jemand sagt: „Die Eroica ist kein Rennen, sie ist ein Versprechen.“
Ich glaube, er hat recht.
So nun bin auch ich fix und fertig, watschle in mein weiches Bettchen, begleitet von den Worten „hätte, hätte, Fahraddkette“.
Gute Nacht meine Freunde und bis zum nächsten Abenteuer - ANTARES






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